In puncto provokantem Marketing macht keiner dem selbsterkorenen Saftladen true fruits etwas vor. Sei es der monatlich neu erscheinende Text auf den Smoothie-Flaschen oder großflächige Plakatkampagnen, deren Inhalte die Werbebranche regelmäßig aufwirbeln. Denn die Kreativköpfe machen vor Themen, die für die meisten Marketer als Tabus gelten, keinen Halt. Mit dieser kompromisslosen und mutigen Kommunikation steigt der Umsatz Jahr für Jahr – und das trotz geringem Marketingbudget-Einsatz.
[Dieser Artikel ist Teil der Mini-Serie „Langer Atem“. In den kommenden Wochen werden wir weitere Marken vorstellen, die uns ebenfalls zeigen, wie geiles Content Marketing auch langfristig funktionieren kann.]
Bekanntheit oder Begehrlichkeit: Die Strategie und Ziele von true fruits
Die Marketing-Strategie von true fruits ist schnell erklärt: Es gibt keine. Alles, was Kommunikation angeht, kommt ungefiltert und unzensiert direkt aus der hauseigenen Kreativschmiede.
Damit widersetzen sie sich dem viel gepredigten „Eine ausgefeilte Strategie ist das A&O im Content Marketing“. Hören wir aber Marketingleiter Nicolas Lecloux über Werbung sinnieren, wird schnell klar, dass er kein großer Fan von ausgeklügelten Konzepten ist, sondern rein nach Impuls handelt. Für ihn dient Marketing der Unterhaltung und Begehrlichkeit, nicht unmittelbar der Verkaufsförderung und Bekanntheit. Mit genau dieser provokanten und kontroversen Herangehensweise liefern die Gründer der Smoothie-Marke ein Gegenbeispiel zur gut durchdachten Content-Marketing-Strategie – und kommen damit durch.
Das Team hinter true fruits ist zu 100 Prozent von seinem Produkt überzeugt; ein künstliches Anpreisen fällt also automatisch weg. Mitgründerin Inga Koster erklärt das wortwörtliche Erfolgsrezept so:
„Verarbeitet wird die ganze Frucht bis auf die Schale und den Kern. Kein Geschmacksverstärker, Bindemittel und kein zugesetzter Zucker. Die Früchte reifen bis zuletzt am Strauch und nicht in begasten Überseecontainern. Das gewachsene Gesundheitsbewusstsein des Menschen kommt uns als Trend natürlich entgegen.“
Das stetig wachsende Gesundheitsbewusstsein lässt sich auch anhand der Umsatzentwicklung von true fruits erkennen – das Unternehmen konnte insbesondere seit 2015 seinen Umsatz stark ankurbeln:
Impuls statt Strategie: Was macht das Marketing von true fruits so besonders?
Wollen wir die Marke true fruits verstehen, müssen wir uns zu allererst mit deren Gründern beschäftigen. Die drei Freunde aus Bonn fungieren in den Führungspositionen und bringen alle ihre persönliche Note mit ein. Kennengelernt haben sie sich im Studium und haben dort auch den Grundstein für ihre jetzige Firma gelegt. Die Vertrautheit zwischen den CEOs ist spürbar – es gibt keine Kontrollinstanz, die kreative, mutige Ideen zensiert.
Anfangs fehlte den Bonnern ein Werbeetat, sodass sie aus der Not eine Tugend machen mussten. So entstanden die heute so bekannten Flaschentexte, die mittlerweile als Markenzeichen von true fruits gelten. Bis heute sind sie das wichtigste Werbemittel und dementsprechend gering ist der Budget-Einsatz:
Auf der Vorderseite wirkt es wie ein braver, gesunder Drink für zwischendurch, auf der Rückseite kommt dann das wahre Gesicht zum Vorschein: Jeden Monat setzen sich die Kollegen in ihrem Bonner Büro zusammen und texten die Sprüche für die neuen Flaschen. Mit diesen kreativen Storys schaffte true fruits einen Bruch in der natürlichen Assoziation, die Verbraucher bei Smoothies haben. So denken die meisten bei einem gesunden Obst-Drink an eine familienfreundliche und gesunde Tonality, wie sie auch bei Konkurrenten wie innocent vorherrscht – eben der ganz glatte Instagram-Style.
True fruits hat sich aber unabhängig von Kundenerwartungen an einen Smoothie eine neue Markenpersönlichkeit geschaffen, die in der Kategorie provokant-sarkastisch anzusiedeln ist. Die Idee dahinter ist, ein eigentlich langweiliges Produkt ehrlich zu bewerben. Nicht ganz unschuldig am Erfolg dieser Idee ist der exzentrische Marketingleiter Nicolas Lecloux, dessen Leitspruch folgender ist:
„Wir sind in unserer Wortwahl vielleicht ungeschliffen, dafür aber authentisch. Everybody’s Darling is Everybody’s Arschloch.“
Diese nonkonforme Einstellung zeigt sich auch in der Produktentwicklung. Statt aufwendige Marktforschung zu betreiben, entwickelt das Team neue Smoothies in der eigenen Büroküche. Denn kein Marktforschungsinstitut kennt die treue Kundschaft besser als die Saftmacher selbst.
Das zeigt sich sowohl in der Produktentwicklung als auch in der Kommunikation, denn true fruits ist nicht nur vom eigenen Produkt, sondern auch von der Zielgruppe überzeugt. Vor allem in Sachen Humor trauen sie dem Kunden so viel zu, dass er Ironie und Ernst unterscheiden kann. Falls nicht, soll er eben innocent-Smoothies trinken.
Erfolge und Rückschläge
Nach elf Jahren kann true fruits laut Gründer Marko Knauf folgende Bilanz ziehen: zwei größere Shitstorms, über 500 Mails und Anrufe mit heftigen Beleidigungen, ein Anruf der Polizei, eine untrue-fruits-Seite auf Facebook, zwei Erklärungen vor dem Werberat. Treu der Kommunikations-Philosophie wird sich aber nichts an der Marketing-Strategie ändern, sondern werden auch in Zukunft unbequeme Themen angeschnitten.
Den bisher wohl heftigsten Gegenwind gab es für die Einführung der Chia-Samen-Smoothies und der Kampagne #jetztösterreichts (siehe unten). Die Resonanz war einerseits Begeisterung für den Mut, andererseits harsche Vorwürfe des Sexismus beziehungsweise Rassismus. Diese zwei Reaktionen stehen repräsentativ für das Marketing von true fruits: entweder Du liebst es oder Du hasst es.
Fazit und Tipps
Eine Kommunikation, wie sie true fruits betreibt, kann nicht erlernt werden. Statt diese zu kopieren, musst Du als Marketer Deine eigene Tonality finden. Sei es traditionell, humorvoll oder eben etwas Spezielles, was Dich und Deine Firma ausmacht.
Derzeit setzen viele aufgrund des Erfolgs von Firmen wie fritz kola oder der BVG auf provokantes Marketing. Doch Provokation ist kein Garant für Erfolg und kann schnell nach hinten losgehen, was true fruits auch schon des Öfteren erfahren musste. Allerdings änderten sie daraufhin nichts, sondern leben weiterhin frei nach dem Motto „Wir laufen niemanden hinterher für einen Platz im Einkaufswagen“, wie Marketingleiter Lecloux klarmachte.
In Bezug auf Beleidigungen oder Hasskommentare fährt er eine klare Strategie: „Wenn Du uns blöd kommst, dann kriegst Du auf die Fresse.“ Wer also austeilt, muss ebenso einstecken können – auch in einer Firmen-Kunden-Beziehung, wo es sonst immer heißt, der Kunde sei König. Bei true fruits ist es dann doch eher der Kumpel, der ab und zu in die Schranken gewiesen werden muss.
Das Selbstvertrauen von true fruits sollte eine Inspiration für alle Marketer sein, sich selbst treu zu bleiben – selbst nach erheblichem Gegenwind. Ein zusätzlicher Erfolgsfaktor ist die schonungslose Ehrlichkeit und Authentizität. So wirbt der Bonner Saftladen nie mit Produktversprechen à la „Trink diesen Smoothie und Du wirst stärker, schöner und kommst besser durch den Winter.“. Aussagen wie diese wurden offiziell von der PR-Abteilung als „lächerlich“ tituliert und sind somit auch nicht Teil der Kommunikationsstrategie.
Dort spielt wieder das volle Vertrauen in die eigene Zielgruppe mit ein: true fruits traut seinen Kunden so viel Intellekt zu, dass sie wissen, dass Obst gesund ist und es somit nicht bei jeder Kampagne predigen müssen. Davon können Marketer lernen: Glaub an Deine Zielgruppe – sie hat mehr Humorverständnis und Wissen, als Du vielleicht meinst. Mut zahlt sich am Ende meist aus und die Kundenbindung wird enger, je mehr Du Deiner Zielgruppe vertraust.
Weitere Artikel aus der Reihe »Langer Atem«:
Quellen:
https://www.unternehmeredition.de/marken-und-macher-true-fruits/4/
https://creditreform-magazin.de/2016/04/04/erfolgreich/redaktion/smoothie-start-up-true-fruits/
https://www.true-fruits-shop.com/
https://www.wuv.de/marketing/zum_kotzen_true_fruits_wehrt_sich_gegen_rassismus_vorwurf
https://www.wuv.de/specials/creativity/wir_verspruehen_keinen_weichgespuelten_werbeschwachsinn
https://www.wuv.de/marketing/so_tickt_true_fruits_marketingchef_nic_lecloux
https://www.business-punk.com/2017/02/true-fruits-marketing/