Was anfangs in einen Shitstorm mündete, gilt heute als eine der erfolgreichsten Content Marketing Kampagnen der letzten Jahre: #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe. Mit einem so großen Erfolg hatte niemand gerechnet – denn dieser kam nur wegen eines anfänglichen Fehltritts zustande. So setzte man zu Beginn der Kampagne auf fröhliche, heile Welt und bat die Community, ihre schönsten Erlebnisse mit der BVG zu teilen. Stattdessen hagelte es typisch Berliner Schnauze harte Kritik. Wie die Werbeverantwortlichen aus der Not eine Tugend machten und heute in Sachen erfolgreichen Content als einer der Vorreiter gelten, zeigen wir Dir im Folgenden:

[Dieser Artikel ist Teil der Mini-Serie „Langer Atem“. In den kommenden Wochen werden wir zwei weitere Marken vorstellen, die uns ebenfalls zeigen, wie geiles Content Marketing auch langfristig funktionieren kann.]

Was war der Ursprung der Kampagne?

Im Januar 2015 fing alles so unschuldig an – doch binnen kürzester Zeit ließ die Community ihrem Frust über die BVG freien Lauf. Unter #weilwirdichlieben sollten Kunden ihre schönsten Erlebnisse mit der BVG teilen. Dank hoher Verspätungsquoten und meist schlechtgelaunten Busfahrern fiel die Resonanz jedoch zum Großteil negativ aus. Über die Berliner Grenzen hinaus wurde der misslungene Annäherungsversuch der Verkehrsbetriebe diskutiert – und sorgte damit für eine riesige Reichweite.

Der anfängliche Misserfolg zeigte sich anhand solcher Tweets:

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Diese Aufmerksamkeit machten sich die anfangs noch so friedliebenden Marketingverantwortlichen zunutze und packten ihre Berliner Schnauze aus.

Ab sofort reagierten sie mit Humor und Selbstironie auf die Beschwerden aus der Community und setzten damit den Grundstein für das Erfolgsrezept der Kampagne. Immer mehr und mehr Kunden äußerten sich positiv über die veränderte Tonalität, da diese endlich auf Augenhöhe sei. „Den Kampagnenverantwortlichen wurde die Freiheit gegeben, sich am lebenden Projekt auszuprobieren und dadurch die richtige Tonalität zu entwickeln“, sagt BVG-Marketingchef Martell Beck über den Entwicklungsprozess. Erfolg hatte es in jedem Fall: Die Kampagne wurde zum Trending Topic #1 auf Twitter.

Elf Monate nach dem Shitstorm gelang der BVG mit Jung von Matt der erste virale Spot „Is‘ mir egal“. Dieser hat bis heute über 18 Millionen Klicks gesammelt und brachte die Kampagne erneut national in aller Munde – diesmal jedoch positiv. 

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Welche Strategie und welche Ziele werden verfolgt?

Was macht einen guten Verkehrsbetrieb aus? Klar, Pünktlichkeit, Sauberkeit steht da an erster Stelle. Dass das die BVG allerdings nicht immer leisten kann, weiß sie selbst – und ihre Kunden umso besser. Deswegen versucht die BVG mit der neuen Kampagne diesen Schein nicht mehr aufrechtzuerhalten, sondern punktet ab sofort mit schonungsloser Ehrlichkeit, Authentizität und Selbstironie. Wie eben der Berliner an sich. So folgt die Tonality ganz dem Trend des provokanten Content Marketings.

Durch diese Herangehensweise ist eine viel höhere Identifikationsebene möglich, da der BVG für Millionen Berliner zum Alltag gehört – ebenso wie die Hassliebe der Fahrgäste gegenüber den Verkehrsbetrieben.

Als Kommunikationsziel hat sich die BVG unter anderem die Schaffung eines verjüngten, authentischen Images gesetzt. Darüber hinaus soll ein konsequenter Dialog mit den Kunden durch Interaktion, Information und Unterhaltung geführt werden. Deswegen versucht das Unternehmen so oft wie möglich auf tagesaktuelle Geschehnisse einzugehen und Themen zu behandeln, die die Berliner beschäftigen.

In der folgenden Grafik der BVG sind die verschiedenen Ebenen der Markenpositionierung aufgezeigt:

Quelle: https://www.marketingclubberlin.de/images/stories/mcb_pdf/16-09-12_BVG_Kampagne.pdf

Wie ist die Image-Kampagne aufgebaut?

Der Kern der #weilwirdichlieben-Kampagne ist der konsequente Content, der auf allen relevanten Channels gespielt wird. Dieser ist meist humorvoll aufbereitet und traut sich an Themen heran, die für die meisten Unternehmen undenkbar erscheinen:

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Ein weiterer Grundpfeiler des Erfolgs sind die Interaktionen mit der Community. Diese teilen gern aus, müssen aber ebenso auch einstecken:

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Darüber hinaus profitiert die Kampagne von User-generated-Content: Die Community schickt Bilder oder Beobachtungen ein und die BVG greift diese humorvoll auf:

In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die BVG über diese Channels große auf Viralität ausgelegte Aktionen – so beispielsweise das Musikvideo mit U2:

Die #weilwirdichlieben-Channels auf Twitter, Facebook und Instagram sind dabei getrennt von allen BVG-Service-Accounts und werden ausschließlich für Image-Angelegenheiten genutzt.

Wer soll angesprochen werden – und wie?

Die BVG kann insgesamt 484.146 Ticket-Abonnenten (Stand: 31.12.2017) und etwa 1,2 Milliarden Fahrgastfahrten pro Jahr vorweisen (Quelle: PDF des BVG). Laut Marketingverantwortlichen Martell Beck soll sich die Kampagne vor allem auf die jüngeren Fahrgäste konzentrieren: „Wenn ich die Wahrnehmung des Unternehmens verändern will, fängt das bei der jüngeren Zielgruppe an.“

Die Kernzielgruppe der #weilwirdichlieben-Kampagne ist zwischen 18 und 29 Jahre alt und wohnt in Berlin, als sekundäre Zielgruppe sollen junge Touristen angesprochen werden. Der Gedanke dahinter? Wenn sich das Image bei der jüngeren Zielgruppe nachhaltig verändert, kann dies im besten Fall dazu führen, dass die BVG auch bei anderen Generationen positiver im Gedächtnis verankert wird.

Erfolg und Meilensteine der BVG-Kampagne

Der Erfolg der #weilwirdichlieben-Kampagne kann sich sehen lassen:

  • Die Facebook-Seite hat 250.718 Likes (Stand: 21.09.18)
  • Der Twitter-Account hat 281.000 Follower (Stand: 21.09.18)
  • Der Instagram-Channel hat 65.700 Follower (Stand: 21.09.18)
  • Das Video „U2 in der U2“ hat knapp 2,5 Millionen Views (Stand: 21.09.18)
  • Das Video „Ohne uns“ hat rund 3,4 Millionen Views (Stand: 21.09.18)
  • Das Video „Is‘ mir egal“ hat rund 18,5 Millionen Views – 6 Mio. auf dem Account von Kazim Akboga und 12,5 Mio. auf dem Account von „Weil wir dich lieben“ (Stand: 21.09.18)
  • Das Video „Alles Absicht“ hat rund 3 Millionen Views (Stand: 21.09.18)
  • Die BVG hat sogar gemeinsam mit adidas Sneakers herausgebracht

Was können andere Unternehmen von #weilwirdichlieben lernen?

Die #weilwirdichlieben-Kampagne hat mit Schwierigkeiten begonnen – den daraus entstandenen Shitstorm hat sich die BVG zunutze gemacht und fährt nun eine erfolgreiche Strategie. Das bedeutet: Bei anfänglichen Schwierigkeiten solltest Du nicht sofort aufgeben, sondern Deinen Fehler erkennen und daran arbeiten – eventuell kannst Du ebenso selbstironisch an Deine eigene Content-Marketing-Strategie herangehen. In jedem Fall ist es wichtig, nicht immer auf Nummer Sicher zu gehen und Mut zu beweisen – selbst wenn das Ganze nach hinten loszugehen scheint.

Priorität sollte ebenfalls sein, sich mit den Wünschen und Bedürfnissen der Community auseinanderzusetzen und darauf einzugehen. Übrigens: Die beste Marktforschung ist, die Reaktion der Kunden in sozialen Medien zu beobachten – dieses direkte Feedback kannst Du dazu nutzen, Deine Kampagne neu auszurichten und an das anzupassen, was sich die Community von Dir wünscht.

Wie die BVG schon zeigt: Reflexion, Ehrlichkeit und Selbstironie zahlen sich in der Regel aus. Kunden sehen über die Missstände hinweg, wenn sie sich auf einer Augenhöhe mit dem Unternehmen fühlen und erkennen, dass das Unternehmen diese Missstände selbst wahrnimmt und anspricht.

Last but not least ist es unersetzlich, den eigenen Ton zu finden. Übernimm also nicht einfach die Tonality bereits erfolgreicher Kampagnen. Versuche stattdessen herauszufinden, wie Deine Marke am besten kommuniziert und welcher Ton am ehesten zu Deiner Community passt.

Verantwortlich für #weilwirdichlieben ist seit Beginn an die Berliner Agentur GUD.berlin.

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