Update: Ursprünglich sollte Marc Opelt die Konferenz der CMCX 2020 eröffnen. Die CMCX konnte wegen des Coronavirus nicht wie geplant im März stattfindet – stattdessen gibt es jetzt die neue virtuelle Konferenzreihe CMCX@Home mit den Speaker*innen der CMCX, bei der auch Marc Opelt sein Know-how teilt und Euch weitere Insights in das Marketing von OTTO gibt (am 16. April).
OTTO ist seit vielen Jahren einer der großen Player im Content-Marketing. Mitte Februar ging es hoch her in Hamburg. Ein Tweet sorgte für viel Wirbel – allerdings nicht rund um das Sortiment oder aufgrund einer Kampagne, sondern eher aus politisch, moralischen und ethischen Gründen. Doch auch bei der Antwort auf den Tweet bewies OTTO seine kommunikative Kompetenz. Verantwortlich für diese ist letztendlich Marc Opelt. Er ist seit den 90ern bei OTTO und nach einigen Jahren auf Abwegen seit 2017 Vorsitzender des Bereichsvorstands und verantwortet u. a. das Marketing direkt. Zusammen mit René Kühn wird Marc Opelt die CMCX 2020 mit einer Keynote eröffnen. Das Vorgespräch der beiden haben wir hier für Euch in einem Interview festgehalten.
René Kühn: Moin, lieber Marc, in Deiner ersten Karriere vor gut 25 Jahren bei OTTO hast Du „Hartwaren“ und das Gründen des B2B-Anbieters „OTTO Office“ vorangetrieben. Zwischen all dem Tech und neuen Mediageschäften in 2020: Erkennst Du das Unternehmen eigentlich noch wieder?
Marc Opelt: Das Unternehmen schon. Bei den Kolleg*innen tue ich mich da in der Tat schwerer, weil wir in den vergangenen Jahren so viele neue Ottonen dazu bekommen haben. Aber vom Spirit her war OTTO schon immer First Mover. Neues auszuprobieren und Technologie voranzutreiben, da erkenne ich uns auch nach 25 Jahren noch ganz klar wieder. Vor einem Vierteljahrhundert sind wir mit otto.de erstmals im Intranet aufgetreten – als einer der ersten Onlinehändler in Deutschland. Heute entwickeln wir uns weiter zur Plattform und treiben so den größten Umbruch der Unternehmensgeschichte voran. Das ist selbstverständlich oft herausfordernd, aber es fühlt sich auch gut und richtig an.
René Kühn: Du verantwortest als Vorstand heutzutage die Marke für eine „Plattform“, zu der sich der „Händler“ OTTO immer mehr hinbewegt. Worauf legst Du zwischen all den verschiedenen Erlössträngen besonderen Wert? Welche KPIs beobachtest Du am meisten, um das große Ziel zu verfolgen?
Marc Opelt: Unser Geschäftsmodellwechsel kann nur gelingen, wenn wir alle drei Standbeine der Plattform konsequent weiterentwickeln. Das eigene Handelsgeschäft, in dem wir Jahrzehnte erfolgreich waren, bleibt folglich weiterhin ein ganz zentraler Aspekt. Dazu kommen der Marktplatz, für den wir tausende Markenpartner und Lieferanten gewinnen wollen, und die Serviceleistungen, die wir unseren Partnern anbieten. Je nach Geschäftsmodell setzen wir logischerweise auf unterschiedliche KPIs. Unsere neue Markenpositionierung basiert auf den Brand KPIs „fair“, „persönlich“ und „inspirierend“. Diese Indikatoren sind für uns vor allem aus Markensicht entscheidend. Aber auch klassische KPIs, die über Consideration oder First Choice gemessen werden können, spielen für uns eine wichtige Rolle. OTTO genießt eine hohe Markenbekanntheit und großes Vertrauen bei der Kund*innen – insbesondere bei den jüngeren Zielgruppen erkennen wir in Punkto Relevanz aber noch großes Entwicklungspotenzial.
René Kühn: OTTO war eines der ersten Unternehmen in Deutschland, das eine auf Content-Marketing fokussierte Unit aufbaute. Was glaubst Du, welchen Anteil die Inhalte und der themenorientierte Fokus Anteil daran haben, dass Ihr heutzutage so viel besser gegenüber (ehemaligen) Marktbegleitern dasteht?
Marc Opelt: Im Fokus unserer Content-Formate – früher Blogs – stehen spezifische Konsument*innenbedürfnisse. Diese lassen sich clustern: etwa zum Thema Nachhaltigkeit (re:BLOG), große Größen (Soulfully) oder auch Home & Living (Roombeez). Die Idee dahinter ist der spezifische Nutzen für die User*innen, also der Lösungsansatz. Dafür tritt die Marke OTTO stärker in den Hintergrund, was zu einer eher impliziten Auseinandersetzung mit uns führt. So stärken wir über einen bewusst gewählten Umweg die Marke, präsentieren unsere Sortimente, Partner und Services und schaffen einen alternativen Zugang zu otto.de bzw. der OTTO-App. Darüber hinaus erhalten wir wertvolle Daten und erfahren, wo, wann und wer den größten Nutzen hat, wie unsere Anzeigen auf Performance Kanälen laufen und welche Prozesse hinter der Content-Erstellung stehen.
René Kühn: Kannst Du beziffern, wie viele Menschen in etwa bei OTTO an der Content-Produktion und -Distribution arbeiten? Wie viele eigene Medien sind in Eurem Portfolio?
Marc Opelt: Heute reicht es nicht mehr, ein Produkt in die Kamera zu halten und ZACK, ist das Marketing bedient. Wir müssen Geschichten erzählen – konsistent über alle Kanäle hinweg, trotzdem immer wieder kanalspezifisch aufbereitet und gedacht. Deshalb ist Content Marketing auch kein feststehendes Konstrukt mit klaren Grenzen. Überall da, wo wir als Marke auftreten, brauchen wir Content. Der entsteht nicht allein im Branding-Team, sondern auch bei den Kolleg*innen im Online Marketing, im Vertrieb oder in der Unternehmenskommunikation sowie durch unserer Corporate Influencer. Zu den klassischen Content-Kanälen zählen beispielsweise unsere fünf Blogs und Onlinemagazine. Hier arbeiten zehn Kolleg*innen jeden Tag daran, relevante Inhalte für unsere Leser*innen zu produzieren.
René Kühn: Durch Content-Marketing generieren Unternehmen extrem hohe Reichweiten. Klassische meinungsbildende Medien verlieren an Bedeutung. In diesem Kontext wird ja viel über Haltung und „gesellschaftlicher Verpflichtung“ gesprochen, Ihr habt Euch auf jetzt Twitter positioniert und mutig Flagge gezeigt. Hast Du ein kurzes Logbuch zu dem „Paula“-Szenario? Wer hat es wann entdeckt, den Gegentweet vorgeschlagen und wer gab letztlich die Freigabe?
Marc Opelt: Du sprichst von einem Tweet, mit dem wir uns Mitte Februar auseinandersetzen mussten. Da hat eine Kundin, die sich selbst als politisch „rechtsstehend“ vorstellt, sich über nicht-weiße Models auf otto.de beschwert und Bezug auf eine Klage-E-Mail genommen, die sie bereits an unseren Kund*innenservice geschickt hatte. Der Tonus: ganz klar rassistisch. Was tun wir also in solchen Fällen? Die Kolleg*innen aus der Unternehmenskommunikation analysieren die an der Diskussion beteiligten Profile sowie Kommentare. Sie wägen sehr genau ab, denn eine Stellungnahme bringt immer auch Aufmerksamkeit für die Gruppen und Profile mit sich, die das Unternehmen gezielt angreifen und radikales Gedankengut verbreiten. In diesem Fall hat OTTOCOMMS sich dafür entschieden Stellung zu beziehen: Rassismus? Ohne uns!
Ohne Handlungsspielraum ist so eine schnelle Reaktion im Tagesgeschäft nicht möglich, deshalb ist solch eine Entscheidung bei OTTO keine Vorstandsentscheidung, sondern eine von unseren Kommunikationsprofis getroffene.
René Kühn: Wenn wir uns aktuell die Wahlergebnisse und damit die politische Orientierung in Deutschland anschauen, habt Ihr durch diese Reaktion auch Kunden verloren?
Marc Opelt: Haltung gibt es nicht umsonst, sondern die tut manchmal auch weh. Denn sie ist mit Positionierung und Kosten verbunden. Ob indirekt über den Verlust von Kund*innen, die eine andere Meinung haben, oder ganz direkt, zum Beispiel indem wir bestimmte Produkte wie Echtpelze nicht in unser Sortiment aufnehmen – Marge hin oder her. Wir glauben daran, dass es zu den Aufgaben von Unternehmen zählt, in gesellschaftlich relevanten Debatten eine Meinung zu haben und diese auch auszudrücken. Das heißt nicht, dass wir auf alle gesellschaftlichen Trends aufspringen oder jede Diskussion aufgreifen. Aber wir sind uns unserer Unternehmenswerte bewusst und verteidigen diese, wo wir sie in Gefahr sehen. Und eine freiheitlich demokratische Grundordnung sowie eine bunte Gesellschaft zählen zu diesen Werten ganz klar dazu. Genau das spiegelt die Reaktion unserer Unternehmenskommunikatoren auf den angesprochenen Tweet wider.
René Kühn: Was glaubst Du, hat in der jungen Zielgruppe mehr Einfluss auf eine Kaufentscheidung bzw. Markenbeliebtheit? Superkreative TikTok-Videos oder das Reduzieren von CO2-Emissionen?
Marc Opelt: Auf die Kaufentscheidung nehmen bislang weder geringere CO2-Emissionen noch kreative TikTok-Videos einen großen Einfluss. Und so gegensätzlich, wie sich Umwelt oder TikTok – hier harte Fakten, dort Kreativität – zunächst anhören, sind sie es gar nicht. Wir leben nun mal in einer fragmentierten Gesellschaft. Es ist nicht ungewöhnlich, dass TikTok-Nutzer*innen sich auch für die Umwelt interessieren – spätestens seit Fridays for Future ist das doch offensichtlich. Diese Diversität eröffnet Chancen, Zielgruppen über ganz spezifische Thematiken oder Kanäle zu erreichen. Wer zu Generation Z und Millennials vordringen will, kommt wahrscheinlich an TikTok nicht vorbei – mit oder ohne Umweltschutz. Deshalb müssen wir als Marke umdenken: weg von klassischem Marketing, hin zu mehr Kreativität und Freiraum für die Nutzer*innen. Warum also nicht mal eine Hashtag-Challenge zum Umweltschutz wagen?
René Kühn: Das heißt? Welche Erfahrungen habt Ihr mit den neuen Kanälen gemacht?
Marc Opelt: Wir haben in den vergangenen Jahren viel ausprobiert. Wir waren nicht nur bei TikTok unterwegs, sondern zum Beispiel auch bei Tinder und Twitch. Auf diesen, für uns neuen Kanälen konnten wir viel Aufmerksamkeit generieren. Unsere erste Hashtag-Challenge #MachDichZumOTTO hat bei TikTok im Sommer innerhalb von sechs Tagen 147 Millionen Views erzielt. Für die zweite Challenge #FreuDichHart haben Nutzer*innen zu Weihnachten 95.000 Videos in einer Woche hochgeladen. Das sind beeindruckende Zahlen! Dennoch gilt es je nach Thema, Zielgruppe und Marketing-Ziel immer wieder aufs Neue abzuwägen, wann wir uns wo und wie positionieren
René Kühn: Mit Susan von McDonald’s, Johannes von REWE und Steve von der AOK diskutierst Du in unserem CMO-Panel auf der CMCX über die echten Big Challenges im Marketing. Welche These wirst Du vertreten, was gehört zu den größten Herausforderungen im Marketing – ohne zu viel von den Inhalten auf der Bühne zu verraten?
Marc Opelt: Die fragmentierte Gesellschaft ist Chance und Risiko zugleich. Uns stehen heute alle Möglichkeiten offen, um Menschen gezielt mit unseren Botschaften anzusprechen. Das aber mit Berücksichtigung der wachsenden Vielfalt in Bezug auf Trends, gesellschaftliche Themen, die globale Entwicklung, persönliche Lebenssituationen und vieles mehr. Die Ansprüche auf Seiten der Kund*innen oder User*innen an Content und Kommunikation sind enorm gewachsen. Und das Gießkannen-Prinzip funktioniert im Marketing längst nicht mehr. Stattdessen müssen wir in den unterschiedlichen Disziplinen näher zusammenrücken und immer wieder bereit sein, in neue Kanäle zu investieren – auch im Wissen darum, dass sich diese Investitionen nicht immer unmittelbar in Kaufentscheidungen wiederspiegeln.
René Kühn: Wenn Du auf LinkedIn so weiter machst, wirst Du Corporate Influencer des Jahres. Wie fühlt sich Deine neue Karriere nach 50 Tagen für Dich an?
Marc Opelt: Es ist wichtiger denn je, Unternehmen ein Gesicht zu geben. Ob das unbedingt meins sein muss, ist eine andere Frage (lacht). Aber im Ernst – der Blick auf die Entwicklung der sozialen Medien zeigt doch eindeutig, dass die meisten von uns gerne anderen Menschen folgen und hören oder lesen, was diese zu sagen haben, was sie tun und welche Themen sie bewegen. Deshalb ist es für mich und auch für OTTO wichtig, nicht nur in den Medien oder für die Kolleg*innen auf unserem Campus in Bramfeld sichtbar zu sein, sondern eben auch bei Social Media. Ich war da zunächst skeptisch, als unsere Unternehmenskommunikation mit der Idee auf mich zukam, da mehr Gesicht zu zeigen. Aber jetzt finde ich das super! Menschen kommen direkt auf mich zu, schreiben mich an, diskutieren. Das kostet Zeit, die ich aber so weit möglich gern investiere – auch wenn mir hier und da mal eine Nachricht durchrutscht. Den Titel „Corporate Influencer des Jahres“ haben aber ganz eindeutig die ca. 200 Kolleg*innen bei OTTO verdient, die seit 2017 Teil unseres Corporate Influencer-Programms sind. Im Vergleich mit denen bin ich noch ein SoMe-Rookie.
René Kühn: Lass uns zum Abschluss auf ein zugegebenermaßen recht ungewöhnliches Szenario eingehen: Einen Tag vor dem Black Friday ist das komplette Marketing- und Kommunikationsteam von OTTO nicht am Arbeitsplatz – und auch nicht erreichbar. Jetzt heißt es Ärmel hochkrempeln, Herr Opelt! Wie sieht Dein operativer Tag zwischen all den OTTO-Medien aus, damit der Black Friday ein Erfolg wird?
Marc Opelt: Ganz klar: Ich mache ein Tanzvideo bei TikTok und aktiviere meine LinkedIn-Kontakte. Läuft!
Lieber Marc, herzlichen Dank! Ich freue mich auf die Eröffnung der CMCX durch Dich 😉.