Seit Jahr 1994 kursiert ein besonders hartnäckiges Gerücht durch die Nation: „Bielefeld, das gibt’s doch gar nicht!“ Zum 25. Jubiläum der „Bielefeld-Verschwörung“ wollte die Stadt nun einen Schlussstrich ziehen und motivierte Menschen weltweit im Rahmen eines Wettbewerbs, Belege für den vermeintlichen Dauer-Gag zu liefern. Das ausgelobte Preisgeld von 1 Mio. Euro durfte die Stadt schließlich behalten – und auch sonst ging Bielefeld als großer Gewinner hervor.
Wie es zu dieser kuriosen Kampagne kam und wie sich Marketing-Teamleiterin Kati Bölefahr den Erfolg erklärt, erfahrt ihr in diesem Artikel.
Das Jahr 1994 – Achim Held und die Party in Kiel
Der Ursprung der Story liegt im Jahr 1993. Der Informatikstudent Achim Held ist Gast einer Studentenparty in Kiel. Eine Gemeinsamkeit aller Partybesucher: Niemand von ihnen war jemals in Bielefeld. Nach dieser Erkenntnis und wahrscheinlich nicht nur Leitungswasser war der Grundstein für eine neue Verschwörungstheorie gelegt: „Bielefeld existiert nicht!“
Ein Jahr später entschied Achim, der eine Vorliebe für SciFi hegte, eine Geschichte über die vermeintliche Nichtexistenz der Stadt zu schreiben und online zu veröffentlichen. Der Stein kam ins Rollen und das groteske Gerücht verbreitete sich im ganzen Land.
Eine Marketing-Kampagne, die Wellen schlug
Das Jahr 2019: Marketing ist digital und die Anforderungen an einzigartige Kampagnen-Ideen hoch. Die Stadt Bielefeld stellte sich der Herausforderung und machte sich das hartnäckige Gerücht zunutze, um eine Branding-Kampagne, die #Bielefeldmillion, ins Leben zu rufen.
Ein „Gewinnspiel“ forderte dazu auf, die Nichtexistenz der nordrhein-westfälischen Stadt zu beweisen. Dem Gewinner wurden selbstbewusst 1 Mio. Euro versprochen.
https://twitter.com/stadtbielefeld/status/1164110127227686912
Was dann geschah, übertraf selbst das Kampagnenziel:
Nicht nur innerhalb der Ländergrenze wurden fleißig „Beweise“ gesammelt. Menschen aus Indien, Russland, den USA und Japan hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die 333.000 Einwohner-Stadt als Geisterstadt zu enttarnen. Insgesamt erhielt das Bielefeld-Marketing über 2000 Einsendungen, darunter Bilder, Videos, sogar mehrseitige komplexe mathematische Berechnungen.
Der wohl größte Erfolg war die ausländische Medienpräsenz der Kampagne. „New York Post“, „BBC“, „The Sydney Morning Herlad“ und viele weitere internationale Medien berichteten über Bielefeld.
Interview: Kati Bölefahr über den Erfolg der Kampagne
Kati Bölefahr ist für Strategie und Markenmanagement bei Bielefeld Marketing verantwortlich. René Kühn, Initiator der CMCX und CvD von Content-Marketing.Com, hat sie zu der Kampagne befragt:
René Kühn: Liebe Kati, wie seid Ihr auf die Idee für diese nicht wirklich alltägliche Kampagne gekommen?
Kati Bölefahr: Bielefeld hatte bisher ein Problem der fehlenden Aufmerksamkeit. Nur 23 % der deutschen Bevölkerung verbinden mit Bielefeld konkrete Vorstellungen. Eine Folge davon war die „Bielefeld-Verschwörung“, eine „alternative“ Geschichte mit Anknüpfungspunkten für Small-Talk, Witzen, Rede-Stoff.
Wir haben 2016 den Bielefelder Markenprozess gestartet und zunächst versucht, die Bielefelder/innen zu Botschaftern ihrer „Marke“ zu machen und somit das Image von innen nach außen zu stärken. Gleichzeitig haben wir die komplette städtische Kommunikation überarbeitet und parallel ein Sponsoren-Netzwerk aufgebaut, die „Bielefeld-Partner“.
Mit der Kampagne, die wir gemeinsam mit Agentur Medium entwickelt haben, wollten wir vor allem bundesweite Aufmerksamkeit erzeugen und die Stärken Bielefelds selbstbewusst transportieren – das Thema „Verschwörung“ positiv für Bielefeld zu besetzen, hat sich aus dieser Idee entwickelt.
René Kühn: Was war die kurioseste Einsendung für die Nichtexistenz von Bielefeld?
Kati Bölefahr: Unter den mehr als 2.000 Mails aus aller Welt war eine schier unerschöpfliche Bandbreite von Kreativität. Kinderbilder, Gedichte, Kunstwerke, literarische Aufsätze. Viele Einsender/innen beschäftigten sich auch mit Argumenten, die aus wissenschaftlichen Disziplinen angelehnt wurden.
Da wurde die Existenz Bielefelds mit Argumenten aus der Quantenphysik angezweifelt, philosophisch wurde der Begriff „Existenz“ gedreht und gewendet, komplizierte mathematische Berechnungen ließen die ganze Großstadt auf dem Papier verschwinden. Mein Lieblings-Beweisversuch war ein 9-seitiger, sehr liebevoll gezeichneter Comic von einem Einsender aus Kasachstan, der die Suche nach Bielefelds Existenz ganz wunderbar bebildert.
René Kühn: Wann habt ihr gemerkt, dass die Kampagne förmlich explodiert?
Kati Bölefahr: Als der Hashtag #BielefeldMillion am Abend des Wettbewerbsstarts durch die Decke ging (Twitter-Deutschland-Trend Platz 1). Geglaubt haben wir es dann, als sogar international viele Leitmedien wie die BBC, Newsweek und New York Times berichteten und wir Mails aus aller Welt bekamen.
René Kühn: Was waren deiner Meinung nach die Erfolgsfaktoren? Kannst Du uns ein paar Einblicke geben?
Kati Bölefahr: Eine coole, selbstironische Idee, gutes Teamwork intern wie extern, die strategische Ausrichtung und Aussteuerung der Kampagne und vor allem der Mut, den wir in dem eher „offiziellen“ städtischen Umfeld gemeinsam mit der Stadtverwaltung an den Tag gelegt haben, haben meines Erachtens zum Erfolg geführt. Und natürlich eine große Portion Glück gepaart mit dem richtigen Gespür für den besten Zeitpunkt – das Sommerloch. Somit konnten wir einen vermeintlichen „Makel“ Bielefelds in eine unglaublich positive Geschichte verwandeln: Bielefeld ist einfach zu schön, um nicht wahr zu sein!
René Kühn: Vielen Dank für das Gespräch!
Die Kampagne in Zahlen – Die sozialen Netzwerke im Ausnahmezustand
Die Kampagne startete am 21. August 2019 und dauerte insgesamt 28 Tage. Alleine im deutschsprachigen Raum wurden über 3000 Medienberichte gezählt.
Auch auf Social Media sorgte die Kampagne für starke Awareness. Der Hashtag #BielefeldMillionen schaffte es sogar auf Platz 1 der Twitter Trends in Deutschland.
Das Marktforschungsinstitut Kantar führte eine Telefonumfrage bei 1000 Bundesbürgerinnen und Bürger ab 14 Jahren durch. 44 % der Befragten fanden die Kampagne „sehr gut“ oder „gut“. Unterschiede konnten auch regional und in verschiedenen Altersgruppen festgestellt werden. Befragte in den „neuen“ Bundesländern sowie die Zielgruppe zwischen 14 und 29 Jahren waren die größten Fans der Aktion.
23 % der Befragten fanden die Kampagne „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“. Vor allem Menschen ab 60 standen dem unkonventionellen Marketing der Stadt eher kritisch gegenüber.
Der Gewinner ist: Bielefeld
Wie zu erwartet, schaffte es die Stadt, ihre Existenz zu verteidigen. Und obwohl die 1 Mio. Euro nicht ausgezahlt wurden, gibt es so einen klaren Kampagnen-Gewinner: Bielefeld. Die einzigartige Idee sorgte dafür, enorme Reichweite zu generieren und die Stadt über die Ländergrenzen bekannt zu machen.
Fazit
Obwohl oder gerade weil die Kampagne so polarisierte, traf sie einen Nerv und verhalf Bielefeld dazu, das Gesprächsthema des Spätsommers zu werden. Am Ende steht ein gelungenes Branding mit Witz, das für weltweites Aufsehen sorgte und damit weit über die nun bewiesenermaßen existenten Stadtgrenzen hinausging.
Interessant wird sein, ob sich der Erfolg der Kampagne tatsächlich auf die Entwicklung der Einwohnerzahl, Studienplätze oder Firmenansiedlungen auswirkt. Das wird man jedoch erst in mehreren Jahren sehen können – bis dahin freuen wir uns auf weitere kreative Ideen aus (dem jetzt offiziell wirklich existierenden) Bielefeld.