Wenn es ein Unternehmen gibt, das wirklich einzigartige Voraussetzungen fürs Content-Marketing hat, dann ist es die Deutsche Bahn: Wie kein anderer Konzern steht sie im öffentlichen Fokus und ist gleichzeitig einer der größten deutschen Publisher mit unzähligen Webportalen, Apps, Magazinen, Social-Kanälen u.v.m.
Für die Content-Marketing-Verantwortlichen bei der Bahn klingt das nach einem breitgefächerten Aufgabenbereich, unzähligen Distributionswegen und viel Team-Koordination.
Deshalb sprachen wir im Vorfeld ihres Vortrags auf der Best of CMCX – Cologne (am 18. November) mit Svea Raßmus über Herausforderungen, Strategien und die wichtigsten Kanäle – und wie ihre Tätigkeit bei eBay sie zum Content-Marketing führte.
René Kühn: Liebe Svea, Du leitest seit 2015 bei der Deutschen Bahn die Bereiche der Online-Redaktion (bahn.de, bahn.com, Tochterseiten), das Social Media Management, die Suchmaschinen Optimierung und den technischen Bereich des Content Management Systems – uff! Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?
Svea Raßmus: Bei der Bahn bin ich sogar schon seit 2011 und habe damals mit meiner Kollegin Henrika Meusert die Social-Media-Kanäle des Personenverkehrs der Deutschen Bahn aufgebaut. Seitdem hat sich eine Menge geändert, allein schon in der Arbeitsweise und der Möglichkeiten über Tools effizienter an unterschiedlichen Orten zusammenzuarbeiten. Von der Mail haben wir uns leider noch nicht vollständig verabschieden können, aber Chats, Ticket- und Dokumentationssysteme, Wikis etc. machen es leichter. Das heißt für mich, morgens lesen was in der Nacht passiert ist und welche Anforderungen sofort und welche später bearbeitet werden könne. Ich habe zurzeit sehr viel administrative Themen auf dem Tisch wie Budgetplanung, Ausschreibungen und übergeordnete Projekte, wo wir als Bereich mit technischen, redaktionellen oder koordinierenden Aufgaben beteiligt sind. Vielleicht bringe ich mich deshalb auch super gern in Projekte ein, in denen wir sehr streng auf die Kanäle und deren Berechtigung und auch Verbleib im Kommunikations- und Marketingmix schauen. Das ist dann klassisches Handwerk und eine Menge Schaffensenergie in den Teams. Das inspiriert mich. Also einen typischen Arbeitstag, mhhh … Ich komme früh, lese, rede, diskutiere, lerne und denke viel, gehe spät und bin stolz auf die Inhalte, die die Teams entwickeln und den Kund*innen zur Seite stellen. Darum geht es, die Menschen, die die Bahn nutzen, zu unterstützen vor, während und nach der Reise.
René Kühn: Seit wann begleitet Dich Content-Marketing? Kannst Du Dich noch an das „erste Mal“ erinnern, als Dir der Begriff auf den Tisch kam und was Du damit assoziiert hast?
Svea Raßmus: Content-Marketing als Begriff ist mir das erste Mal bei eBay über den Weg gelaufen. Immer mit sehr starkem Bezug zu Story Telling, in dem die Amerikaner*innen groß waren und immer noch sind. Allein die Gründungsgeschichten, die das „Warum“ im Sinne von Simon Sinek, eines Unternehmens kommuniziert … unglaublich, wirklich großes Kino. Bei eBay wurde sehr viel in die deutschsprachige Community Anfang der 2000er Jahre gesteckt und stark zielgruppengerecht Content produziert bzw. UGC angeregt, um Verkäufer*innen und potenzielle Käufer*innen auf die Plattform zu holen, zu halten und auch außerhalb eines Kaufs zu binden. Generell bin ich eine begeisterte Anhängerin des Community-Marketings, bei dem auch Content-Marketing eine große Rolle spielt.
René Kühn: Die Deutsche Bahn ist ein Publisher mit einer sehr, sehr hohen Reichweite in Deutschland – vermutlich sogar unter den Top 10. Wie seid Ihr bei all den verschiedenen Kanälen zu einer Content-Strategie und Organisation gekommen? Wer entwickelt und produziert bei Euch den Content?
Svea Raßmus: An der Stelle kann ich es nur für den Bereich des Personenverkehrs beantworten, da hier die DB Vertrieb GmbH, also meine Teams und ich, die Verantwortung tragen. Der Content auf den jeweiligen Kanälen ist unglaublich umfangreich und mit dem einfachen Publizieren ist es nicht getan. Hier wird gehegt und gepflegt – Konversion Optimierung, Verschlankung und Vereinfachungen von Inhalten sind das Tagesgeschäft der Redaktionen. Das hat auch Auswirkungen auf die technische Weiterentwicklung des Content-Management-Systems. Die dafür benötigte Content-Strategie haben wir 2014 völlig neu aufgesetzt. Content-Vision, Ziel-, Kennzahlen- und Customer Journey-Definition, Content- und Modul-Audits, Zielgruppen- und Persona-Setups, Steckbriefe für die einzelnen Touchpoints/Kanäle, SEO- und Redaktionsleitlinien, Tonalität etc. Mit diesem strategischen Baukasten, den wir ständig aktualisieren, arbeiten die redaktionellen, aber auch die Entwickler-Teams (fachliches Backlog) für bestehende Kanäle und welche, die neu entworfen werden.
René Kühn: Die Bahn ist ja ständig in aller Munde. So gut wie jeder Deutsche hat irgendein „Verhältnis“ und nicht selten eine starke Meinung zur Bahn – ist das Fluch oder Segen für Eure Content-Aktivitäten?
Svea Raßmus: Es ist definitiv ein Segen. Zum einen geben uns die Gespräche wichtige Informationen (Monitoring, Community-Management und SEO zum Beispiel), was die Menschen benötigen, um ein gutes Reiseerlebnis zu haben. Zum anderen können wir die ganze Bandbreite von Content an verschiedenen Touchpoints publizieren. Wir wissen aber auch sehr genau wo unsere Grenzen sind. Wo macht es zum Beispiel Sinn mit einem Unternehmensprofil aktiv zu sein, wo ist es unpassend oder auch unwirtschaftlich.
René Kühn: Eine gemeine Frage: Wenn Dir nur noch ein Kanal für Deine Kommunikation mit allen Zielgruppen zur Verfügung stehen würde, welcher wäre das? Oder müsste dieser Kanal erst erfunden werden?
Svea Raßmus: Das ist wirklich gemein und an der Stelle nehme ich einmal bahn.de und DB Navigator aus dem Gedankenspiel raus. Die Social-Media-Kanäle und Engagement Plattformen des Personenverkehrs verkaufen nicht vorrangig Produkte. Sie sind für die Bahn Zugang zum Endkunden (Content-Marketing, Kundensupport „digitaler Blitzableiter“, Performance-Marketing und Störungs- und Krisenkommunikation). Sie bieten Bahn und Kunden eine individualisierte, relevante Kommunikation und Kundeninteraktion zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der richtigen Nachricht. Eine Wahl würde also bedeutet sich für und auch gegen bestimmte Zielgruppen und deren Bedürfnisse innerhalb der Customer Journey zu entscheiden. Meiner Meinung hat momentan Twitter die höchste Relevanz für uns als Personenverkehr, da es keine Customer Journey ohne Support geben kann und Twitter ist hier am stärksten. Dafür würde mich jedoch das Performance Marketing zwei Bürotüren weiter verwünschen, die auf Facebook und YouTube Ads ausspielen.
René Kühn: Du gibst uns auf der Best of CMCX – Cologne am 18. November einen tieferen Einblick in Eure Aktivitäten. Was erwartet das Publikum? Kannst Du ein kurzes Preview geben?
Svea Raßmus: Ich werde ganz sportlich in zwanzig Minuten einen Blick in die Werkstatt geben. Inhaltlich dreht es sich um den Content-Kreislauf „Planen, Erstellen, Optimieren, ggf. Entfernen, Messen und alles von vorn“. Ich werde über den schmerzlichen Lernprozess reden, sich nach Analysen und User-Tests von Inhalten zu verabschieden und weshalb es wichtig ist, sich breit im owned media aufzustellen und dabei den Touchpoints klare Aufgaben und Ziele zuzuweisen.
René Kühn: Du strandest – natürlich mit einem anderen Verkehrsmittel – für 24 Stunden an einem einsamen Ort. Sagen wir fast einsam, denn ein digitaler Sprachassistent, nennen wir ihn Barnhard, hört Dir zu. Welche der zahlreichen Bahngeschichten, die Du in den letzten Jahren mitbekommen hast, erzählst Du ihm?
Svea Raßmus: WOW! Es wäre ein bunter Blumenstrauß von selbst erlebten und beruflich begleiteten Geschichten. Ich pendle 1x die Woche Berlin-Frankfurt-Berlin und bin jeweils mit der S-Bahn unterwegs, da hätten wir Tom Hanks und seinem Volleyball in „Cast Away“ den Rang abgelaufen.
René Kühn: Liebe Svea, vielen Dank für Deine offenen Antworten! Wir sehen uns am 18. November in der Kölner Wolkenburg.