Der Schweizer Detailhandelsriese Coop macht schon länger vor, wie richtig gutes Content-Marketing geht. “Länger” bedeutet in diesem Fall 117 Jahre und man kann durchaus davon ausgehen, dass sich diese Erfahrung auch nicht so schnell aufholen lässt.
Besonders spannend: Die drei Content-Marketing Portale Mondovino, Hello Family Club und FOOBY räumten in den letzten Jahren zahlreiche Marketing Awards ab – u. a. belegte Coop Schweiz die Spitzenposition der BCM Awards 2018 bei „Kunden“. In Basel scheint der Publisher-Gedanke also mehr als verinnerlicht worden zu sein.
Dr. Thomas Schwetje ist seit 2008 Leiter Marketing & Digitale Services bei Coop Schweiz. Er verbringt den privaten Teil seines Lebens in Düsseldorf. Content-Marketing.Com-Chef René Kühn verabredete sich mit ihm im Rahmen seines CMCX-Vortrags zum Content-Marketing Frühstück und stellt ihm die historische Frage: Content-Marketing – waren es die Schweizer?
René Kühn: Grüezi lieber Thomas, wir treffen uns hier im Rheinland. Seit über 10 Jahren bist Du jetzt schon in der Schweiz für Coop tätig. Wie stark hat sich Dein Leben helvetisiert und wie kann man sich Deinen Alltag vorstellen?
Thomas Schwetje: Unter der Woche arbeite ich bei Coop in Basel. Der Schweizer Arbeitsalltag – erst recht im Handel – beginnt vergleichsweise früh. Erste Sitzungen bereits morgens um 7.00 Uhr sind dabei keine Ausnahme. Der Arbeitsalltag besteht dann überwiegend aus Sitzungen mit internen Schnittstellen (IT, Verkauf, Sortimentsverantwortlichen) und externen Partnern wie diverse Lieferanten und Agenturen. Gegen Abend arbeite ich dann in der Regel meine Mails ab, bereite Sitzungen vor etc.
Das Wochenende gehört dann ganz der Familie in Düsseldorf. Aus familiären Gründen leben mein Frau und die beiden Kinder dort. Wir alle lieben aber die Schweiz und verbringen auch einen Teil der Ferien regelmässig dort. Sei es in den Bergen oder an einem der vielen wunderschönen Seen. Und ich bin vermutlich einer der ganz wenigen Grenzgänger, der regelmässig und in grösseren Mengen Lebensmittel aus der Schweiz mit nach Deutschland nimmt. Meistens läuft der warenbezogene Grenzverkehr ja aufgrund der Kostendifferenz leider in die andere Richtung.
René Kühn: Die Portale FOOBY, Hello Family Club und Mondovino sind drei hervorragende, sogar ausgezeichnete Beispiele für echtes, klassisches Content-Marketing.
Thomas Schwetje: Ja, mit dem Hello Family Club und Mondovino haben wir zwei Kundenclubs im Markt lanciert, die über Content und Mitgliedervorteile auf unsere Positionierung als familienfreundlicher Retailer sowie als Händler mit der grössten Weinkompetenz einzahlen. Zugleich haben wir hier durch die Anbindung der Clubs an unsere Kundenkarte und entsprechende CRM-Massnahmen sichergestellt, dass die beiden Clubs einen messbaren Beitrag zum Erfolg unseres Handelsgeschäfts leisten und sich rechnen. Fooby hingegen ist unsere Kulinarikplattform, mit der wir uns als Retailer mit der grössten Food-Kompetenz im Schweizer Markt präsentieren. Hier steht die Imagekomponente klar im Fokus. Aber auch hier stellen wir fest, dass wir durch die Verknüpfung von Fooby mit unserem PoS insbesondere im Bereich der Frischprodukten klar Umsätze und Marktanteile steigern können.
Über die diversen Preise und Auszeichnungen haben wir uns natürlich sehr gefreut – es ist motivierend, auch von Aussen, Anerkennung für die Marketingaktivitäten zu erhalten. Gerade für die Mitarbeiter, die ihr Herzblut in solche Aktivitäten legen, ist das besonders toll. Im Handel zählen Auszeichnungen aber sehr schnell sehr wenig, wenn die Umsätze und der Business Case nicht stimmen – das ist unsere Messlatte. Da wir in den vergangenen Jahren unsere Fähigkeiten im Bereich der Datenanalytik stark ausgeweitet haben, können wir heute die Wirkungen der meisten unserer Marketingktivitäten auf Umsatz und Deckungsbeiträge zum Glück sehr genau messen.
René Kühn: Über diese Ressourcen würden sich viele Verlagshäuser freuen. Die Portale laufen jetzt seit einigen Jahren. Wann rechnet Ihr damit, dass sich das Content-Marketing rechnet?
Thomas Schwetje: Wie gesagt, wenn sich die Aktivitäten nicht sehr schnell gerechnet hätten, wären sie nicht mehr im Markt. Wir nutzen Content ja als ergänzendes Vehikel für unsere Club-Aktivitäten, die in sich profitabel sind.
Jenseits dieser 3 Clubs bzw. Portalen agieren wir auch als Publisher und stehen mit der Coopzeitung sowie jährlich über 20 Magazinen im unmittelbaren Wettbewerb zu den Verlagshäusern. Hier haben wir sicherlich den grossen Vorteil, dass wir unsere Verlagsprodukte schon immer gratis an die Konsumenten abgeben und wir daher kaum Leserschwund zu verzeichnen. Die Refinanzierung erfolgt ausschliesslich über die Werbeindustrie. Hier kommt uns sicherlich die Nähe zur Markenartikelindustrie zugute. Niemand erfährt zum Beispiel so früh wie wir, wann ein Hersteller ein neues Produkt auf den Markt bringt und wann dieses entsprechend beworben wird.
René Kühn: Agiert Ihr proaktiv in der Vermarktung? Oder sind das die Resultate aus den Jahresgesprächen? Darf man dazu noch WKZ (Werbekostenzuschuss) sagen oder wäre das längst überholt?
Thomas Schwetje: Werbekostenzuschüsse nennen wir Aktionsbeiträge und diese sind weitgehend losgelöst von der werblichen Berücksichtigung in unseren Medien. Die Aktionsbeiträge sollen überwiegend die Zusatzkosten der Logistik sowie Handlingkosten in unseren Läden abdecken.
Die Vermarktung unserer Medien läuft davon weitgehend losgelöst und hat mit den klassischen Werbekostenzuschüssen im deutschen Handel kaum etwas zu tun. Wir haben im Marketing eine knapp 10-köpfige Abteilung “Media Sales”, welche unsere Medien, kommunikative Aktivitäten am PoS sowie CRM-Aktivitäten für die Markenartikel-Industrie vermarktet. Diese Abteilung ist bewusst organisatorisch losgelöst von unserem Einkauf und Category Management. Wir vermarkten die für die Markenartikel-Industrie mit Abstand wirksamsten Werbekanäle der Schweiz. Alleine die Coopzeitung erreicht jede Woche 60% der Schweizer Bevölkerung und wir haben täglich 1 Mio Kunden am PoS. Unser Ansatz ist es daher, die Geschäftspartner über unsere Werbeleistung und -wirkung von Mediainvestments bei uns zu überzeugen. Wir sind damit in den vergangenen Jahren hervorragend gefahren.
René Kühn: Mit so einer enormen Reichweite und Zugang zur fast kompletten Bevölkerung am POS und Euren eigenen Medien gibt es durch die Digitalisierung garantiert einige neue Geschäftsfelder, die vor wenigen Jahren nicht die Kernkompetenz von Coop waren. Welche Projekte sind auf einem guten Weg und von was lasst Ihr die Finger?
Thomas Schwetje: Klar, die Digitalisierung spielt auch bei uns eine grosse Rolle. Im Vergleich zu Deutschland ist der Schweizer Handel hier sehr weit fortgeschritten. Insbesondere die Themen Datenanalytik und CRM haben sich bei uns in den letzten Jahren sehr stark weiterentwickelt, so dass wir die Kunden heute mit individuell wesentlich relevanteren Inhalten ansprechen können. Am PoS macht sich die Digitalisierung insbesondere an den Kassen bemerkbar: Self-Checkout ist heute etabliert und wird von vielen Kunden geschätzt. Aktuell sind rund 35 % unserer Supermärkte mit Self-Checkout-Kassen ausgestattet. Auch das digitale Zahlen ist in der Schweiz auf dem Vormarsch. Wo wir sehr zurückhaltend sind ist jedoch die Digitalisierung des Einkaufsprozesses als solcher. Sprich, in unseren Supermärkten soll die frische Ware im Fokus stehen, das Sortiment für sich sprechen. Auf Screens und technischen “Firlefanz”, der die Kunden vom Sortiment ablenkt, verzichten wir dabei ganz gezielt.
René Kühn: Und im Bereich Content(-Marketing)? Welche Services wünschst Du Dir anbieterseitig? Oder: Welche Tools oder technischen Lösungen möchtest Du in Zukunft sehen? Ich frage für einen Freund.
Thomas Schwetje: Wir arbeiten in allen Bereichen mit ein paar wenigen Standard-Tools. Sei es beim CMS, unseren Webshops, PIM/DAM etc. Wir haben so viele Schnittstellen zu den unterschiedlichsten Medien und x-Agenturen, dass wir hier nicht nach einer spezifischen Lösung suchen. Der Erfolg des Content Marketing hängt aus unserer Sicht nicht an irgendwelchen Systemlösungen. Auch sind wir als Unternehmen mit unserer Grösse gar nicht so aufgestellt, dass wir hier regelmässig auf neue Systeme, Tools oder Lösungen umstellen können oder wollen.
René Kühn: Ihr habt die Publisher- als auch die Vermarkterrolle heutzutage perfekt verinnerlicht und strategisch institutionalisiert. Für unsere Studis, die immer ein gutes Intro benötigen, und inhaltlichen Historiker: Gibt es Überlieferungen, wann die ersten Content-Marketing Ansätze bei Euch umgesetzt wurden?
Thomas Schwetje: Die Coopzeitung wurde erstmals im Jahr 1902 publiziert – damals noch als Genossenschaftliches Volksblatt. Wenn man so will, haben wir also vor knapp 117 Jahren mit dem Content Marketing begonnen. Lange Zeit dachte ich, wir seien damit vermutlich einer der ersten Publisher von Content Marketing im deutschsprachigen Raum. Ich wurde aber erst jüngst darauf aufmerksam gemacht, dass Dr. Oetker bereits im Jahr 1890 Content Marketing auf den Backpulvertüten betrieben hat. Wir sind also nicht die Pionierin in diesem Bereich, aber haben doch eine sehr lange Tradition.
René Kühn: Beim nächsten Mal treffen wir uns zum Essen inklusive einer Flasche Wein. Ich koche (Fähigkeitsgrad 3 von 6) und Du bringst den Wein mit. Ich vermute, Du hast zwei Empfehlungen von den Dir nahen Portalen?
Thomas Schwetje: Klar, als Weisswein würde ich den Aigle les Murailles empfehlen, der bekannteste Chasellas der Schweiz. Er kommt aus dem Wallis und ist die perfekte Begleitung zu Raclette und Käse-Fondue. Als Rotwein bringe ich den Quattromani mit. Das ist eine Schweizer Weinlegende – er wird aus den besten Trauben von vier bekannten Tessiner Winzern gekeltert, 20 Monate im Holzfass und dann noch 6 Monate in der Flasche gereift, bevor er auf den Markt kommt.
Lieber Thomas, herzlichen Dank für die offenen Antworten. Das ist ein perfekter Vorgeschmack auf Deinen Speaking Slot auf der CMCX, auf den ich mich schon jetzt freue.