Rosa, weich und süß: So kennt man den deutschen Fruchtgummihersteller Katjes. Dass dieser auch andere Seiten hat, zeigen die neuesten Werbemaßnahmen. Ganz nach dem Motto „no risk, no reach“ wird mit provokanten Inhalten versucht, Aufmerksamkeit zu erregen und zu einer gesellschaftlichen Diskussion beizutragen. So kritisiert der Süßwarenproduzent in seinem letzten Spot die Milchindustrie als Tierquäler und erntet dafür heftige Kritik – und Reichweite. Gleichzeitig wird damit die neue vegane Schokolade „Chocjes“ beworben, mit Erfolg: Laut dem YouGov Brandindex erreicht Katjes im Beliebtheitsranking den Jahreshöchstwert.
Warum es sich lohnen kann, mit provokanten Inhalten zu werben und was Ihr dabei beachten solltet, erfahrt Ihr in diesem Artikel.
Tierquälerei und Hafermilch – die Katjes Werbung
Der neue Katjes Werbespot ist provokant. Düstere Zeiten, in denen Kühe in Reih und Glied ins Milchwerk schreiten, leiten die Illustration ein. Aber: „Jedes Leben ist wertvoll“, erinnert eine sanfte Stimme. „Und Kühe sind keine Milchmaschinen. Auch nicht für Schokolade.“ An eine Kriegsszene erinnernd, marschieren die trostlosen Tiere in den Schokoladentafel-förmigen Stall, als plötzlich eine Haferrispe durch die Decke stößt. Die Landschaft erleuchtet in strahlenden Pinktönen. Mit dem Slogan „Cool ohne Kuh“ wird die neue Chocjes-Schokolade aus Hafermilch vorgestellt.
Für die Zeichnungen wurde übrigens der weltbekannte Kult-Illustrator Gerald Scarfe gewonnen. Berühmt ist Scarfe mit dem Cover für das Pink-Floyd-Album “The Wall” und den Zeichnungen für das gleichnamige Video geworden. Im Clip für Chocjes erkennt man den unverwechselbaren Look des mittlerweile 83-Jährigen.
Wenig erfreut über die Darstellung zeigt sich der Bayrische Bauernverband. Dieser kritisiert den Werbespot, falsche Tatsachen über Tierhaltung zu propagieren und demonstrierte vor dem Werk des Fruchtgummi-Herstellers. Neben Demonstrationen mündete der heftige Widerspruch in einer Beschwerde beim Deutschen Werberat.
Doch neben Kritik hagelte es vor allem Aufmerksamkeit. Eine Auswertung von YouGov untermauert den Erfolg der Kampagne mit Zahlen: Demnach gaben 15 Prozent der Deutschen an, in der letzten Zeit etwas über die Marke Katjes gehört zu haben. Der Wert zeigt einen deutlichen Anstieg des Markenbewusstseins nach der Ausstrahlung des Spots und reiht sich im Beliebtheitsranking in die Maßstäbe der Konkurrenz ein.
Mit Provokation Aufsehen erregen und die Zielgruppe erreichen
Eine Abweichung vom Kurs ist nicht in Sicht: Katjes erzeugt mit dem Werbespot Aufmerksamkeit, hat die Zielgruppe aber genaustens im Visier. Dass der Süßwarenproduzent bereits vor Chocjes auf tierische Produkte verzichtete, ist kein Geheimnis. Mangelnde Authentizität kann Katjes also nicht unterstellt werden.
Und die Rechnung geht auf: Rund 41 Prozent der Katjes-Kunden kaufen einmal pro Woche Schokolade, bisher jedoch bei den Wettbewerbern Milka, Ritter-Sport und Kinderschokolade. Der Chocjes-Werbespot aber verschreckt die Kunden nicht. Ganz im Gegenteil empfinden 45 Prozent der Katjes-Kunden die Thematisierung von Umweltfragen im Marketing positiv. Weitere 39 Prozent finden es angemessen, über Tierquälerei zu sprechen.
Die positive Resonanz zeigt, dass Katjes seine Zielgruppe genau kennt. Mit dem neuen Chocjes-Produkt bietet Katjes eine Alternative zu Milchschokolade, die den Mitstreitern mit bisher höherem Marktanteil schon bald Sorgen bereiten könnte.
Werbung zum Anecken – Sensation sells
Sensationsmarketing funktioniert: Es appelliert an das Angstbewusstsein des Menschen und erzeugt enorme Aufmerksamkeit. Katjes vermischt mit dem Chocjes-Werbspot die gesellschaftliche Diskussion der Massentierhaltung mit sozialem Habitus. Wer Milchschokolade kauft, unterstützt das graue Zeitalter der Milchindustrie. Die Marke reiht sich so in die Diskussion ein und wird zum sozialen Objekt.
Funktionieren kann das Konzept „Sensation sells“ jedoch nur, wenn es den Nerv der Zielgruppe trifft. Da Katjes bereits vor der Chocjes-Schokolade vegane Fruchtgummis ohne Gelatine produzierte, war das Risiko relativ gering. Und nicht nur die Katjes-Community interessiert sich für Themen der Nachhaltigkeit und Produkte ohne tierischen Ursprung: Als Streik der Schüler und Studenten gestartet, protestieren mittlerweile jeden Freitag tausende Menschen unter dem Motto „Fridays for Future“ für Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Auch der Vegetarismus hat enorm an Zuspruch gewonnen. Rund 6,10 Millionen der Deutschen geben heute an, Vegetarier zu sein. Das ist ein Zuwachs von 400.000 Personen in den letzten zwei Jahren.
Marketingaktivitäten müssen auf die Interessen der Zielgruppe abgestimmt sein. Wenn sie dann noch den Zahn der Zeit treffen und sich in gesellschaftliche Diskussionen einbringen, bedeutet dies eine enorme Chance für Reichweite und Brand Awareness.
Fazit: No risk, no reach – Aber nicht ohne Marketingstrategie
Polarisierende Werbekampagnen dürfen die Zielgruppe nicht abschrecken, sondern müssen ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit auslösen. Katjes provoziert mit dem neuen Werbespot zwar, gewinnt jedoch an Aufmerksamkeit und Reichweite, weil die Interessen der Kundschaft einkalkuliert wurden.
Durch die Identifikation mit dem Thema der Nachhaltigkeit schafft es Katjes, sich neben starken Konkurrenten wie Milka, Rittersport und Kinderschokolade zu platzieren. Die Zielgruppe springt auf den Zug auf und begrüßt die vegane Alternative. Und auch der Deutsche Werberat winkt die Kampagne trotz Ärgernis des Bauernverbundes unter der Begründung der freien Meinungsäußerung durch.